Kurioses aus dem Gerichtsalltag

Eine führende Regionalzeitung im Westen der Bundesrepublik berichtete neulich auf der ersten Seite über eine Initiative von NRW Justizminister Peter Biesenbach, dass Gerichte ihre Urteile dem Volk besser erklären sollen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. In der Öffentlichkeit habe sich – zu Unrecht – der Eindruck eingeschlichen, Gerichte in NRW urteilten zu milde. Deshalb reiche der Grundsatz “der Richter spricht nur durch sein Urteil”, nicht mehr aus. Es müsse mehr Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden.

Mir scheint das noch nicht so richtig zu Ende gedacht zu sein. Denn die gleiche Ausgabe dieser Zeitung lieferte auf der letzen Seite ein Beispiel, bei dem mir auch die tollste Erklärung nicht weiterhelfen würde: Das Amtsgericht Frankfurt hatte die Unterlassungsklage einer Mieterin abgewiesen, mit der diese verhindern wollte, dass ihr Vermieter (92) und seine Frau (89) sie ständig als “Fräulein” bezeichneten, auch auf Aushängen im Hausflur.

Die Begründung des Urteils – oh ja: es gab eine! – lautete, dass das Vermieterpaar aufgrund seines hohen Alters den Begriff “Fräulein” noch als korrekte Anrede kennengelernt habe. Auf die Verwendung dieser Anrede heute noch zu beharren, deute zwar auf “ein gewisses Maß an Unfreundlichkeit und mangelnde Kompromissbereitschaft” hin, eine Beleidigung im juristischen Sinne sei das aber nicht. Das Gericht verwies auch auf die englische Anrede “Miss” und die französische “Mademoiselle” als Vergleich.

Dabei verkannte es nicht einmal, dass das deutsche “Fräulein”, anders als seine Pendants in England und Frankreich, 1972 offiziell abgeschafft wurde, hielt das aber offenbar nicht für relevant. 1972! Es ist also 47 Jahre her, dass man in Deutschland die Diskriminierung beendet hat, die darin bestand, dass bei Frauen der Unterschied zwischen verheiratet und unverheiratet für anrede-relevant gehalten wurde, bei Männern indes nicht!

Damals war der Vermieter 45 Jahre alt und seine Frau 42. Also nicht einmal halb so alt wie heute. Brauchten aber – mit offizieller Billigung eines deutschen Gerichts – nichts mehr hinzuzulernen im Bereich menschlicher Umgangsformen. Nach derselben Logik könnte ein Nazi, wenn er nur alt genug ist, seine schwarzen Mitmenschen immer noch “Neger” nennen. Auf den Unterschied – das eine ist beleidigend, das andere bloß diskriminierend – kommt es nämlich nicht an. Denn Diskriminierung ist in Deutschland genauso verboten.

Was soll mir bei so einem Urteil “besser erklärt” werden? Nein, nein, in der Juristerei gilt das Gleiche wie in der Politik: Manches ist eben nicht einfach nur “schlecht erklärt”, sondern schlicht und einfach “schlecht”. Die Chance, es besser zu machen, hat vielleicht das Landgericht Frankfurt. Denn das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

 

Text: Aichard Hoffmann
Bild: Klaus-Peter Wolf / pixelio.de