Gericht: Stadt muss Bürgerantrag befassen

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat mit einer einstweiligen Anordnung die Verwaltung der Stadt Bochum verpflichtet, dem Hauptausschuss des Rates eine Eingabe des Netzwerks für bürgernahe Stadtentwicklung zur Beratung vorzulegen. Verwaltung und Rat hatten dies zuvor verweigert. Die Entscheidung ist eine derbe Niederlage für Rat und Verwaltung der Stadt Bochum.

Für viele Mitglieder des Stadtrates ist es ein zunehmendes Ärgernis: Das “Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung” – ein Zusammenschluss von zahlreichen Bürgerinitiativen, die für den Erhalt von Freiflächen in Bochum und gegen (Wohn-)Bebauung auf der grünen Wiese kämpfen – hat es sich angewöhnt, seine Anliegen über Bürgeranträge nach § 24 der Gemeindeordnung den Politiker:innen direkt vorzutragen. In vielen Städten gibt es für solche Bürgeranträge einen eigenen Ausschuss: den Anregungs- und Beschwerdeausschuss. In Bochum hingegen werden Bürgeranträge von dem Fachausschuss beraten, der auch sonst für die Sache zuständig ist, um die es in dem Antrag geht.

Das ist eigentlich eine gute Regelung. Allerdings scheinen einige gewählte Volksvertreter:innen zunehmend genervt von der immer häufiger ertönenden Volkesstimme. Deshalb wurde im März 2021 der Zusatz „§ 9 Abs. 4 Satz 2 lit. h” zur Hauptsatzung der Stadt Bochum beschlossen. Danach werden Anregungen oder Beschwerden von Bürger:innen nicht behandelt, wenn “für die Behandlung des Sachverhaltes besondere Verfahren vorgeschrieben sind und/oder gesetzliche und/oder freiwillige Beteiligungsverfahren vorgegeben sind oder durchgeführt wurden”.

Für Kenner:innen war schon damals klar: “Das ist eine Lex Netzwerk.” Denn in Bebauungsplanverfahren, um die es den Bürgerinitiativen ja meistens geht, ist eine minimale Bürgerbeteiligung gesetzlich vorgeschrieben: Jeweils vor dem Aufstellungsbeschluss und dem eigentlichen Beschluss des B-Plans muss eine Bürgerversammlung durchgeführt werden und die Bürger:innen erhalten Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme. Nach der Hauptsatzung der Stadt Bochum wären also keine Bürgeranträge zu Bebauungsplanverfahren mehr zulässig.

Im März hatte das Netzwerk erneut einen Bürgerantrag eingebracht. Ziel war es, laufende Bebauungsplanverfahren so lange auszusetzen, bis das neue “Handlungskonzept Wohnen” und der “Klimaplan” sowie das Konzept für eine „Global Nachhaltige Kommune“ – allesamt in Arbeit – beschlossen sind. Das hätte dafür gesorgt, dass alle Bochumer Wohnbauvorhaben gleich behandelt werden. Unter Berufung auf § 9 Abs. 4 Satz 2 lit. h lehnte die Verwaltung es ab, den Antrag auf die Tagesordnung der Ratssitzung zu setzen. Heike Schick, Mitglied in der Bürgerinitiative „Grabeland Am Ruhrort“ sowie im Netzwerk, hat gegen die Verweigerung der Befassung das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eingeschaltet.

Das Gericht hat der Stadt Bochum nun mit einstweiliger Anordnung vom 27. April aufgegeben, die Eingabe dem Haupt- und Finanzausschuss in seiner nächsten Sitzung zur Behandlung vorzulegen. Zu der Vorschrift in der Hauptsatzung, die angeblich die Vorlage der von Heike Schick eingereichten Eingabe ausschließen sollte, heißt es in der Entscheidung u. a.:

„§ 9 Abs. 4 Satz 2 lit. h der Hauptsatzung ist bereits als solcher nicht geeignet, das Recht der Antragstellerin auf sachliche Befassung mit ihrer Eingabe einzuschränken oder gar auszuschließen. Die Vorschrift erlaubt angesichts ihres ungenauen und beinahe uferlos-umfassenden Anwendungsbereichs keine klare Bestimmung der konkreten Verfahren, die einer sachlichen Befassung einer Eingabe durch das angegangene Gremium entgegen stehen sollen. ….. In dieser Pauschalität ist die in § 9 Abs. 4 Satz 2 lit. h der Hauptsatzung getroffene Regelung, auch angesichts der Bedeutung des an Art. 17 GG angelehnten kommunalen Petitionsrechts, weder mit § 24 GO NRW vereinbar noch wahrt sie den Grundsatz der Normenklarheit und -bestimmtheit.“

Die Gerichtsentscheidung ist eine derbe Niederlage für die Verwaltung, aber auch für die Ratsmitglieder, die im März 2021 der Aufnahme der Vorschrift in gerade dieser Fassung in die Hauptsatzung zugestimmt haben. Das Netzwerk hatte bereits damals darauf hingewiesen, das kommunale Petitionsrecht aus § 24 GO NRW dürfe durch die Hauptsatzung nicht ausgehebelt werden – auch nicht für bestimmte Bereiche.

Wolfgang Czaprack-Mohnhaupt vom Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung, aber auch Beisitzer im Vorstand des Mietervereins, fragt: “Welche Schlüsse werden die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik nun aus dieser Niederlage vor Gericht für den weiteren Umgang mit dem Netzwerk ziehen? Das Netzwerk und angeschlossene Bürgerinitiativen suchen weiterhin den Dialog – werden aber auch ihre Rechte geltend machen.”