2. Alternativer Genossenschaftskongress: Mehr Demokratie wagen
Genossenschaft von unten
Auf dem 2. Alternativen Genossenschaftskongress forderten Mitglieder von Wohnungsbaugenossenschaften mehr Mitspracherechte. Die bundesweite Konferenz fand Mitte Februar im Centro Sociale in Hamburg statt und war von den Berliner, Dortmunder und Hamburger Initiativen „Genossenschaft von Unten“ organisiert worden.
„Die Kommunikation über Themen erfolgt in traditionellen Genossenschaften nahezu ausschließlich top-down“, beschrieb der Hamburger Mietervereinsvorsitzende Dr. Rolf Bosse die Unternehmenskultur in den meisten Wohnungsbaugenossenschaften. Das sei erstaunlich, denn sogar privatwirtschaftliche Firmen setzten immer stärker auf kooperative Mitbestimmung, betonte der Mit-Organisator der Veranstaltung.
Kaum Mitsprache
Der Ton war gesetzt. Die Autorin und Publizistin Elisabeth Voß pflichtete Bosse bei und konstatierte ein „Demokratiedefizit“ bei vielen Wohnungsbaugenossenschaften: „Diese gelten zwar als demokratische Unternehmensform, aber immer mehr Mitglieder bemängeln, dass sie zu wenig Mitspracherechte hätten – beispielsweise bei Erhöhungen der Nutzungsentgelte.“
Auch Modernisierungen würden oft über die Köpfe der Nutzerschaft hinweg umgesetzt. Ein weiteres Problem: „Wer aufmuckt, dem droht der Ausschluss wegen genossenschaftfeindlichen Verhalten.“ Überhaupt sei es mit dem Demokratieverständnis in manchen Wohnungsbaugenossenschaften nicht weit her, so Voß: „Dort können die Mitglieder gerade mal die Vertreter wählen.“
2008 in Berlin gestartet
„Zeit sich zu besinnen, sich von den Gepflogenheiten privater Wohnungsunternehmen zu emanzipieren und die genossenschaftliche Idee neu zu beleben“, lautet deshalb das Credo der Initiativen „Genossenschaft von Unten“. 2008 wurde in Berlin die erste Initiative gegründet, 2017 folgte die zweite in Hamburg, 2022 die dritte in Dortmund.
Ein Problem sei aber auch die träge Masse der Genossenschaftsmitglieder, von denen viele nur günstig wohnen wollen, aber sich von dem, was eine Genossenschaft ausmacht, nicht angesprochen fühlten oder davon keine Kenntnis hätten. „Viele wissen nicht, dass sie Teil einer Organisation sind und nicht nur Mieter, sondern Miteigentümer“, so Elisabeth Voß. Auch viele Vorstände begünstigten diese Entwicklung, sagte die Genossenschaftsexpertin und schilderte ein Beispiel für den „Endpunkt“ der Genossenschaftsidee: „Ich habe erlebt, wie sich ein Vorstand auf einer Mitgliederversammlung befragen und seinen Hausjuristen antworten ließ.“ Vorstände seien oft gewinnorientierte Betriebswirtschaftler:innen, die die „Wettbewerbsfähigkeit“ betonen.
Der Appell der „Genossenschaft von Unten“ lautet deshalb: Aktiv werden, miteinander ins Gespräch kommen und nicht nur die Vertreter:innen und Aufsichtsräte wählen. „Dafür braucht man aber Strukturen, Räume und Leute, die das in die Hand nehmen“, weiß Voß. Auch auf der rechtlichen Ebene müsse einiges passieren – zum Beispiel die Absenkung der hohen Quoren, um Änderungsvorschläge leichter auf die Tagesordnung zu bringen.
Eine Kongress-Teilnehmerin beklagte mangelndes Mitspracherecht bei energetischen Sanierungen, die oft zu kurzfristige Ankündigung der Maßnahmen und schlug zur Abhilfe die Einsetzung von „Nachbarschaftsräten“ vor. Angesprochene Knackpunkte waren auch die Begründungen von Erhöhungen der Nutzungsentgelte auf Basis der Mietenspiegel und hohe Eigenkapitalquoten bei großen Genossenschaften.
Kaum Interesse?
Marko Lohmann, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Baugenossenschaft Bergedorf-Bille eG mit 25.000 Mitgliedern und 9.500 Wohnungen, war es vorbehalten, eine „andere Perspektive“ einzubringen. Zwar bekannte sich der Vorstand dazu, ein „großer Verfechter der Demokratie-Stärkung in den Wohnungsbaugenossenschaften“ zu sein, bemängelte aber das geringe Interesse an den Mitbestimmungsangeboten seiner Genossenschaft: „Von den 300 gewählten Vertretern erscheinen meist nur 30 bis 40 Prozent zu den Versammlungen.“
Die Vertreterin einer kleinen Dortmunder Genossenschaft bemängelte, dass sich „Mitglieder, Aufsichtsräte und Vorstände schon lange nicht mehr auf Augenhöhe bewegen“ und erinnerte daran, dass die Mitgliederversammlung das höchste Gremium einer Genossenschaft ist. Dass manche Vorstände bisweilen in Gutsherrenart auftreten, berichtete ein Genossenschaftler aus Hamburg: „Ich hatte den Mitgliedern per E-Mail Informationen zu diesem Kongress geschickt. Das wurde vom Vorstand als unzulässige Werbung kritisiert.“
Kaum Gemeinsamkeiten?
Manfred Zemter von der Berliner Initiative forderte, man müsse den oftmals auf „Profite“ ausgerichteten Genossenschaften etwas entgegensetzen, denn die „Wohnungsgenossenschaften dürfen keine Ware sein“. Zemter erinnerte im „Internationalen Jahr der Genossenschaften“ an die drei wieder zu belebenden Grundprinzipien der Genossenschaften: Selbstverwaltung, Selbsthilfe und Selbstverantwortung und betonte: „Die Leitung einer Genossenschaft hat sich an den Interessen der Mitglieder zu orientieren.“ Auch deshalb sei es ein Unding, dass der Vorstand meist vom Aufsichtsrat und nicht von den Mitgliedern gewählt werde – was eigentlich die Ausnahme sein sollte. Weitere Infos zum Kongress finden Sie unter www.gvu-dortmund.de.
(Volker Stahl)